Prolog

Freie Fahrt zum friedlichsten Flecken der Erde!
Überraschungen inbegriffen!
Keiner geht leer aus!
Hereinspaziert und willkommen an Bord!

Dieser Einladung folgen sieben Jugendliche und ein Hund namens Smutje. Jeder von ihnen wurde in seinem bisherigen Leben geprägt durch Trauer und Wut und konfrontiert mit Lieblosigkeit und mangelnder Achtsamkeit.
Unabhängig voneinander beschließen diese jungen Menschen, ihr Leben selbstverantwortlich zu meistern. An Bord des Mississippi-Dampfers gibt es keine Crew, dennoch wird das Schiff auf geheimnisvolle Weise gesteuert und für die Gäste stets gesorgt. Es ist wie eine geschützte Oase auf hoher See, um durchzuatmen, sich zu sortieren und anzukommen.
Einen alten Professor zieht es ebenfalls hinaus aufs Meer. Gemeinsam mit seiner Tochter und zwei Bekannten macht er sich erneut auf die Suche nach einer versunkenen Insel. Für alle entwickelt sich diese Reise zu mehr als nur einem gewöhnlichen Ausflug. Mit jeder Seemeile offenbaren sich neue Erkenntnisse, die weit über die Insel hinausgehen.
Unterdessen herrscht auf einem kleinen Fleckchen Erde mitten im Ozean helle Aufregung. Kobolde und Wichtel zimmern und hämmern gemeinsam für einen Bühnenaufbau, das Musikensemble der Feen probt eifrig für seinen Auftritt und Elfen flechten emsig Blütengirlanden. Alle freuen sich auf das alljährliche Fest zu Ehren von Gaia, Mutter Erde.


Ich lade Dich ein, mit mir das abenteuerliche Geschehen auf hoher See zu beobachten. Lauschen wir gemeinsam den intensiven Gesprächen der Schiffsreisenden. Lass uns heimlich bei den Vorbereitungen für jenes spektakuläre Fest dabei sein und die faszinierenden Bewohner der Insel kennenlernen. Tauche mit mir hinein in eine Welt voller Rätsel und Magie! Lass Dich inspirieren und verführen, verzaubern und berühren.

"Was bedeutet Glück für Dich?"

»Du, Henry, was meinst du, wann werden wir am Ziel sein?«, durchbricht Peggy das Schweigen. »An welchem Ziel? Haben wir denn eines? Erst seit kurzer Zeit sind wir hier auf diesem mysteriösen Schiff. Wir können es nicht selbst lenken, doch wird es irgendwie gesteuert. Außerdem können wir uns verpflegen, denn auf geheimnisvolle Weise wird für uns gesorgt. Das ist alles, was wir wissen. Jeder von uns hat seinen ganz eigenen Lebensweg. Haben wir denn dasselbe Ziel? Wir kennen uns doch kaum.« Henry streckt sich etwas. Die beiden sind schon einige Zeit an Deck.
»Nun, du hast recht. Wir haben alle unsere eigene Geschichte, aber suchen wir nicht alle das Glück?« »Glück? Was bedeutet Glück? Was ist Glück für dich?« Henry schaut seine Freundin fragend an. Obwohl sie eigentlich noch Kinder sind, sind sie durch ihre Lebensumstände schneller erwachsen geworden, als sie wollten.

»Delfine, die Engel des Meeres«, flüstert der Kapitän leise

Emma und Michael beobachten das Treiben vom Schiff aus und winken Josie und Robert ab und an zu. Ein Tümmler kommt noch einmal ganz nah an den Kutter heran und lockt mit tanzenden Bewegungen die beiden an Bord Verbliebenen zu sich ins Wasser.
»Schau mal, Emma! Er lädt dich ein, mit ihm zu schwimmen. Komm, trau dich! So eine Gelegenheit wirst du so schnell nicht wieder bekommen«, muntert der Kapitän Emma erneut auf.
»Ich weiß nicht. Irgendwie möchte ich ja. Es ist so herrlich, den anderen zuzuschauen, aber ich weiß nicht…« Emma zögert. Der Delfin ruft und singt, macht dabei tanzende Bewegungen im Wasser und platscht einladend mit seiner Schnauze auf die Meeres­oberfläche.
»Nun komm, gib dir einen Ruck! Sieh doch, wie er bettelt!« Michael lässt nicht nach, Emma zu ermutigen. »Einer von uns sollte an Bord bleiben.«
Völlig überraschend entledigt sich Emma ihrer Sachen, bis auf BH und Slip, und steigt die Strickleiter hinunter. Hätte sie jetzt noch ihre Badekleidung geholt, dann hätte sie der Mut verlassen. ›Egal!‹, denkt sie sich. ›Wir sind hier ja unter uns.‹ Vorsichtig schwimmt sie auf den Delfin zu. Dieser kommt ihr wiederum langsam entgegen, bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, so als würden sie sich erst einmal von Nahem betrachten wollen. Dann berühren sie sich behutsam und Emma streichelt seinen Körper. Schließlich greift sie tapfer nach der Rückenflosse und wird zu den anderen geleitet. Auch hier findet eine Art Kommunikation statt, ohne dass sie es bemerkt.
Eine ganze Weile spielen sie mit den Delfinen, bis sie schließlich zum Boot zurückgeführt werden.

"Liebe liegt in der Luft"

»Warum bist du zu der Einsicht gekommen, dass eine feste Bindung für dich nicht infrage kommt? Ich meine, deine Eltern haben dir doch bestimmt ein besonders gutes Beispiel für eine schöne, harmonisch funktionierende Beziehung gegeben?«
»Stimmt! Die beiden waren ein herausragendes Paar. Und ich habe den Eindruck, dass sie es immer noch sind, wohl über jegliche Grenzen hinaus. Aber, ich durfte auch viele andere Beispiele kennenlernen. So bin ich zu der Einsicht gekommen, dass ihr Glück etwas ganz Besonderes ist und habe es nicht auf mich bezogen. Na ja, dazu kommt noch der plötzliche Tod meiner Mutter. Das hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen, auch mei­nen Vater so leiden zu sehen. Vielleicht macht es mir Angst, mich zu tief fallen zu lassen.« Josephine gefällt es, mit Robert so vertraut zu reden. Oder ist es doch der Rotwein, der ihre Zunge gelockert hat?
»Aber nun zu dir. Haben dich deine Eltern abgeschreckt? Sie führen ja auch schon sehr lange eine Beziehung.«
»Eine Beziehung schon, aber so stelle ich es mir ehrlich gesagt nicht vor. Dann bin ich lieber allein. Ich bin ein Mensch, der die große weite Welt bereist, da kann ich mir einfach keine Ehe mit so einem kleinen, begrenzten Blickfeld vorstellen, eher so wie bei deinen Eltern. Ich meine, ich kenne zu wenig von ihnen, aber was du bis jetzt erzählt hast, klingt für mich gut.« Wieder entsteht ein peinliches Schweigen. Josephine leert ihr Glas und streckt sich. Inzwischen ist es tiefste Nacht, und am Himmel kann man vereinzelt die Sterne sehen. Plötzlich streift eine Sternschnuppe das Himmelszelt.
»Oh, hast du sie gesehen?« Josie deutet nach oben.
»Nee, was denn?«
»Eine Sternschnuppe! Schade! Ich konnte mir gar nicht so schnell etwas wünschen.«
»Was hättest du dir denn wünschen wollen?« Robert wüsste es. Er würde sie jetzt gerne küssen, aber er traut sich nicht. Er, der Draufgänger in Sachen Frauen, hat bei der Tochter des Kapitäns Hemmungen, das verwundert ihn schon.
»Ich hätte mir gewünscht, dass mein Vater endlich ans Ziel seiner Träume gelangt, dass wir morgen fündig werden. Ja, das hätte ich mir gewünscht«, seufzt Josie und steht auf. »Ich gehe jetzt in meine Koje. Es ist spät geworden. Danke für diesen schönen Abend!« Auch Robert erhebt sich. Beide stehen nun sehr nah beieinander.
»Ich danke dir, du hast diesen Abend zu etwas Besonderem gemacht!« Jetzt wäre der Moment gekommen, um sie einfach in seine Arme zu nehmen und sanft ihre Lippen zu berühren. Jedoch dreht sich Josie blitzschnell zur Seite, um nach ihrer Decke zu greifen.
»Na dann, gute Nacht!«
Josephine macht sich auf den Weg in ihre Kabine. ›Was hätte er sich wohl gewünscht? Ich glaube, er wollte mich gerade küssen, oder?‹ Sie grinst in sich hinein. ›Ich komme mir im Augenblick wie ein Teenager vor. Ein verliebter Teenager?‹ Sie wackelt mit ihrem Kopf hin und her. ›Abwarten! Ich glaube, ich habe einen kleinen Schwips. Es war ein romantischer Abend, schon vorher beim Yoga. Und es war ein gutes Gespräch, mehr nicht‹, stellt sie abschließend für sich fest.
Robert bleibt allein zurück. Er gießt sich den letzten Rest aus der Weinflasche in sein Glas und prostet dem Mond zu.
»Na, alter Kumpel! Was hättest du an meiner Stelle gemacht? Ich kann sie doch nicht einfach überrumpeln! Josephine ist eine außergewöhnliche Frau. Sie muss man erobern. Nicht wahr?« Dann leert er das Glas in einem Zug und räumt alles zusammen.

Das Buch aus der Bibliothek

»Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas wirr. Aber ich lese Percy gerade eine Geschichte vor«, fängt Sammy etwas zögerlich an und wird direkt von Percy unterbrochen.
»Ja, und da ist es wie in meinem Traum. Na ja, fast. Dort wird ein Fest vorbereitet und zwei Schiffe spielen auch eine Rolle. Auf den Booten sind Menschen, so wie wir, und einen Hund gibt es auch.«
»Wuff!«
»Ja, Smutje, du kommst auch darin vor«, fügt Percy liebevoll hinzu.
»Und jetzt geraten sie in Seenot …«, will er fortfahren, aber Sammy unterbricht ihn.
»Stopp, Percy! Lass mich bitte weitererzählen! Also, auf dieser geheimnisvollen Insel leben lauter Naturwesen, die ein Fest vorbereiten. Von einer sprechenden Seemöwe wird auch berichtet, aber nicht, dass sie etwas zu den Schiffen gebracht hätte. Jedenfalls geraten die Schiffe in Seenot, so wie es ein Wichtel aus der Geschichte zuvor geträumt hat.«
»Ja, und ich habe Sammy schon gesagt, dass ich finde, es klingt so, als wenn es unsere eigene Geschichte wäre.« Percy ist ganz aufgeregt, dass jetzt auch seine Schwester ins Grübeln gekommen ist.
»Was wird denn von den Schiffen erzählt?«, fragt Chris, sichtlich neugierig geworden.
»Nicht allzu viel. Nur, dass es sich dabei um Jugendliche mit einem Hund und um Erwachsene handelt, die aus unterschiedlichen Gründen auf hoher See sind, aber nichts voneinander wissen. Es ist recht allgemein gehalten. Die Jugendlichen haben sich zufällig an Bord getroffen, alles Ausreißer, so wie wir. Und die Erwachsenen suchen nach einer versunkenen Insel, ansonsten wird auch hier nur Allgemeines erzählt. Das ist ja das Merkwürdige… Bislang habe ich mir nichts dabei gedacht, weil ich annahm, dass es für die Geschichte nicht so wichtig ist. Hauptsächlich wird ja von der Insel berichtet und von den Vorbereitungen für das größte Jahresfest. Zwischendurch gibt es in dem Buch immer mal leere Seiten. Ich dachte, dass es vermutlich ein Fehldruck ist oder so. Nach dem Fund der Blütengirlande und was wir noch so besprochen haben … Na ja, jetzt kommt es mir langsam doch etwas unheimlich vor.« Samantha blickt in erstaunte Gesichter. Percy ist hingegen stolz, denn er hat dieses Buch in der Bibliothek gefunden.
»Oh, wie gruselig! Wo sind wir da hineingeraten?«, antwortet Claus als Erster.
»In der Tat, das klingt etwas seltsam. Die Ereignisse scheinen sich langsam zu überschlagen. Wie geht es mit den Schiffen weiter?«, will Chris wissen.
»Ich weiß es nicht. Ich habe vorerst aufgehört zu lesen.«

Neugierig geworden? Was hat das mit diesem Buch auf sich?

 

„Nur wer sich auf den Weg macht, wird neues Land entdecken.“ Hugo von Hofmannsthal