
»Je weniger wir die Dinge reifen lassen, desto öfter müssen wir in den sauren Apfel beißen.«
(Ernst Reinhardt)
Ich liebe diese Jahreszeit.
Endlich – endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit trauen sich die ersten Blümchen mit zunehmenden Sonnenstunden ans Tageslicht.
Endlich bilden totgeglaubte Zweige neue Knospen, die von Tag zu Tag praller werden, bis sie plötzlich vor geballter Energie platzen. Ein erstes zartes Grün dekoriert nun den einen Strauch oder jenen Baum.
Alles in der Natur hat seinen Rhythmus.
Vor meinem Arbeitszimmerfenster steht ein alter, dicker Baum.
Ich liebe ihn sehr.
Er wird aktiv von tierischen Lebewesen genutzt. So kann ich, während ich schreibe, zum Beispiel den Eichhörnchen zu schauen, wie sie sich eilig den Stamm hoch und runter jagen, als sei es ein Fang-mich-Spiel, fröhlich von Ast zu Ast hüpfen oder ihre Nüsse knacken.
Ab und an kommen auch heimische Raubvögel zu Besuch. Dann herrscht große Aufregung unter den Krähen, Tauben, anderen Singvögel und Kleingetier im Hof.
Leider habe ich auch schon beobachten müssen, wie ein Falke seine Beute auf dem dicksten Ast vom Baum verspeist.
Ja, auch das ist Natur.
Ein Fuchs in der Nachbarschaft “kümmert“ sich zum Beispiel, ohne es zu wissen, um die Population der ansässigen Hasen.
Ich schau Tauben beim Turteln zu. Höre das Klagen einer Krähe, die ihren Partner verloren hat. Lausche dem Abendgesang der Amsel oder lass mich am Morgen von fröhlichen Spatzen wecken.
Was mir aber bisher nicht geglückt ist:
Jedes Jahr nehme ich mir vor, den entscheidenden Moment zu erhaschen, in dem zart und auf leisen Sohlen aus totgeglaubten Zweigen die ersten Knospen sprießen. Später dann, nachdem sie immer praller geworden sind, letztlich aufspringen und sich die jungen Blätter der Sonne entgegenstrecken.
Jedes Jahr denke ich dran, beobachte fleißig von Tag zu Tag und doch … irgendwann, wie von Zauberhand, sind die “Jüngsten“ da und lächeln mich an.
„Bin schon da!“, rufen sie mir zu.
Und aufs Neue muss ich auf das nächste Jahr warten.
Ja, ich weiß, die Wissenschaft kann das alles erklären und es wurde auch schon hundert Mal dokumentiert.
Aber bitteschön – einmal live bei dieser besonderen Geburt dabei zu sein, ist wohl noch mal etwas ganz anderes.
Und ja, ich möchte mir dieses naive Staunen erhalten, weil es für mich einen besonderen Zauber innehält.
Etwas Neues entsteht. Ein ungeschriebenes Gesetz der Natur ist am Wirken.
Die Natur braucht uns Menschen nicht. Sie braucht unsere wissenschaftlichen Erklärungen nicht. Sie “macht einfach“ und wenn wir uns weniger einmischen würden, wäre ihr sehr geholfen.
Mit unserem Verstehen wollen wollen wir letztendlich ja auch eingreifen, um Prozesse möglicherweise zu optimieren.
Die Natur braucht nicht optimiert werden.
Es ist der Mensch, der “optimiert“ werden müsste. Wir dürfen wieder lernen, die Natur einfach “machen zu lassen“.
Oha, wo hat mich das Schreiben heute hingeführt?
Ich will hier gar kein Statement hinsichtlich Klimawandel & Co abgegeben.
Ohne Zweifel müssen wir umdenken lernen und uns besinnen.
Und ohne Zweifel ist es schwer, auch hier seine Komfortzone zu verlassen.
»Änderung geschieht nur dadurch, dass wir unsere Komfortzone verlassen! Auch das ist ein ungeschriebenes Gesetz.«
Und Komfortzone heißt nicht, aus einem “vermeintlichen Paradies“ hinausgestoßen zu werden.
Komfortzone bedeutet alles um mich herum, so wie es ist, ohne Bewertung, ob gut oder schlecht. Alles, was uns fremd ist, liegt außerhalb dessen, was uns vertraut ist, egal wie es ist. Ich finde es spannend, sich dessen einmal bewusst zu werden.
Ich möchte vielmehr unsere Sinne auf den Zauber um uns herum lenken, jener Magie, der wir täglich begegnen können.
Ganz besonders im Frühling.
Dieser magische “Mini-Moment“ wird sichtbar, wenn sich eine Blume mühselig durch den harten Erdboden drängt. Ja, sogar Asphalt, der porös und rissig geworden ist oder eine Steinmauer hält sie nicht auf, weil sie unaufhaltsam der Sonne, dem Licht, entgegenstrebt. Sie denkt nicht ans Scheitern.
»Das habe ich noch nicht versucht, also bin ich sicher, dass ich es schaffe!«
(Pippi Langstrumpf)
In einem totgeglaubten Zweig wirbeln Säfte voller Energie, die junges Grün zum Sprießen bringen, bis sich letztlich Blätter zeigen. Und, und, und … so viel mehr … – Jedes Jahr aufs Neue.
Ein schier nicht enden wollender Kreislauf.
Zauberkräfte wirken im Hintergrund für uns nicht sichtbar. Wir sehen letzten Endens nur das Ergebnis.
So funktioniert Veränderung. Stundenlanges, tagelanges, ach monatelanges, vielleicht auch jahrelanges Warten und plötzlich ist es soweit. Niemand weiß so recht, wie es geschah.
Das ist doch Magie oder nicht?
»Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar«, wer kennt nicht diesen berühmten Satz?
(Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupery), hier in diesem Zusammenhang meine ich damit:
Auch wenn es scheint, als gehe nichts voran, geschieht doch so viel, was für das Auge nicht sichtbar ist, eben im Hintergrund.
Entscheidend ist, was wir gesät haben und ob wir im Vertrauen bleiben, dass es geschieht. Richten wir uns dem “Licht“ entgegen, im Sinne hin zum Positiven, dann können wir Mauern sprengen.
Zum richtigen Zeitpunkt macht es dann “PENG“ und
das Wunder ist plötzlich da.
Ich hoffe, Du kannst mit meinen Zeilen etwas anfangen. Wie gesagt, ich schreibe, was mir in den Sinn kommt, genau in diesem Moment, weil es gesagt werden wollte.
»Die Geduld nicht verlieren, auch wenn es unmöglich erscheint, das ist Geduld.«
(Japanisches Sprichwort)